Nahaufnahme von Händen, die unter einem automatischen Händetrockner getrocknet werden.

Alles, aber kein Krankenhauskeim

16. Juli 2025

Fragt man Patienten vor einer geplanten Endoprothese nach ihrer größten Angst, erhält man meistens die Antwort: „Krankenhauskeime“. Ist diese Sorge berechtigt? Was können die Ärzte tun? Was der Patient selbst? Antwort bekommen wir vom Ärztlichen Direktor des Orthopädischen Krankenhauses, Prof. Dr. med. Christian Hendrich.

Herr Professor Hendrich, vor gut 20 Jahren haben Sie das erste deutschsprachige Buch über Skelettinfektion herausgegeben. Ist das Thema auch heute noch aktuell?  
Absolut, aber vielleicht anders, als es in der Presse manchmal suggeriert wird. Glücklicherweise ist die Infektionsrate mit multiresistenten Keimen deutlich zurückgegangen. Dadurch, dass aber die beiden anderen Hauptrisiken eines Kunstgelenks wie Thrombose oder das Ausrenken einer Hüfte ebenfalls abgenommen haben, stellt die Infektion weiterhin das No. 1-Problem dar.

 Sie selbst haben im letzten Jahr über 850 Endoprothese eingesetzt – und sind zugleich Krankenhaushygieniker. Wie geht das zusammen? 
Ziemlich gut, würde ich sagen. Gerade als leidenschaftlicher Operateur darf man nie die wissenschaftliche Grundlage seiner Tätigkeit vergessen. Und die Hygiene ist nun einmal die Basis aller Chirurgie.

Warum spielen die zahlenmäßig eher im Promille- als im Prozentbereich liegenden Infektionen in der Orthopädie so eine wichtige Rolle? 
In der Herzchirurgie und in der Orthopädie arbeiten wir mit künstlichen Materialien. Diese haben keine eigene Blutversorgung und sind daher empfindlich für eine bakterielle Besiedlung, insbesondere in den ersten 10 Tagen nach der Operation.

Schloss Werneck werden besonders niedrige Infektionsraten zugeschrieben. Was machen Sie anders? 
In der Krankenhaushygiene sprechen wir gerne von einem Maßnahmenbündel. Das fängt bei der Vorbereitung der Patienten an. Wir empfehlen allen unseren Patienten vor der Operation ein spezielles Waschset für Haut und Haare sowie eine Nasensalbe, um die Besiedlung mit Bakterien zu minimieren. Es geht weiter mit einer PCR-Testung für alle Risikopatienten, um insbesondere das Mitbringen von Krankenhauskeimen zu minimieren. Seit 2011 haben wir im Haus keine einzige Infektion mit dem gefürchteten MRSA-Keim mehr zu verzeichnen gehabt.

Octenisan Waschlotion und Nasengel zur Dekontamination
Präoperatives Waschset für den Patienten

Und im OP? 
Unsere 6 OP Säle werden ausschließlich für orthopädische Eingriffe genutzt. Alle Endoprothesen operieren in einem sogenannten Astronautenhelm. Dadurch wird die Atemluft des Operateurs vollständig vom Patienten getrennt. Wir bemühen uns um eine minimalinvasive, unblutige OP-Technik. Tatsächlich liegen unsere Transfusionraten für ein Hüftgelenk unter 0,9% und am Knie sogar unter 0,4%. Das sind möglicherweise in Deutschland die niedrigsten Transfusionraten überhaupt …

Wie geht es auf Station weiter? 
Für unsere konsequente Händehygiene haben wir gerade wieder das Silberzertifikat der „Aktion Saubere Hände“ bekommen. Die meisten Patienten verlassen uns zwei Tage nach der OP. Um eine sinnvolle Laborkontrolle durchzuführen, haben wir spezielle Laborwerte neben dem CRP, das sogenannte Interleukin-6 und das Procalcitonin, die zwar deutlich mehr kosten, aber auch eine Infektion früher anzeigen können.

Sie kontrollieren ihre Patienten auch noch in der Reha? 
Unsere Oberärzte fahren einmal pro Woche zur Visite in unsere Partner-Kliniken nach Bad Kissingen. Ein Service, der insbesondere der Sicherheit unserer Patienten dient.

Was kann der Patient selber tun? 
Erst einmal sehr unbeliebt – den BMI kontrollieren. In den zukünftigen Leitlinien wird stehen, dass ab einem BMI von 35 die OP verschoben werden soll und ab 40 keine OP angeboten werden darf. In der Praxis finde ich es sehr schwer, Gewicht zu reduzieren und sich gleichzeitig aufgrund von Schmerzen nicht bewegen zu können. Der eine oder andere kann sich vielleicht mit den neuen Abnehmspritzen helfen … Bei einem Diabetes soll die konsequente Einstellung des Blutzuckers mit einem HbA1c Wert von unter 8% kontrolliert werden. Auf eine sorgfältige Anpassung der eingenommenen Medikamente muss insbesondere bei den so genannten „Biologicals“ und gelegentlich bei Kortison geachtet werden.

Zuletzt arbeiten Sie an 2 Zukunftsprojekten? 
Das eine ist unserer Herstellungslabor für aufgereinigtes Knochenmark, umgangssprachlich Stammzellen. Dieses Labor ist in den OP eingebaut und verfügt über ein besonderes Hygienekonzept für eine Medikamentenherstellung. Soweit ich weiß, sind wir die einzige orthopädische Klinik in Deutschland, die eine Herstellungserlaubnis für Knochenmark hat.

Pharmazeutische Glove-Box zur sicheren Materialhandhabung
Ein Herstellungsraum Isolator ist ein steriler, abgeschlossener Arbeitsplatz, der Arzneimittel oder Zelltherapien unter höchster Keimfreiheit produziert

Und das andere? 
Wir verfügen mittlerweile über eine PCR Diagnostik, die uns zum Beispiel bei einem Kniepunktat in 1 Stunde sagen kann, ob eine Infektion vorliegt. Mit Ausnahme von Hautkeimen können wir die meisten orthopädischen Infektionen mit über 90% Treffsicherheit ausschließen – sowohl unsere Patienten, als auch wir selbst schlafen seitdem deutlich ruhiger.

Nahaufnahme eines Nasenabstrichs mit einem Wattestäbchen
PCR-Diagnostik gegen Krankenhauskeime

Ihr Fazit? 
Obwohl die Infektionsrate glücklicherweise deutlich abgenommen hat, stellt sie nach wie vor unser größtes Problem dar. Nutzen Sie die angebotenen Maßnahmen wie das präoperative Waschset! Beachten Sie das Maßnahmenbündel Ihres Krankenhauses und sprechen Sie Ihren Operateur darauf an! Mit der zunehmenden Spezialisierung durch die Krankenhausreform erwarte ich eine weitere Verbesserung, aber wir müssen energisch dranbleiben.